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Gerechtigkeit

Gerechtigkeit im Kontext von Gesundheit und Gesundheitssystemen ist ein gemeinsames Querschnittsthema des WSP. Dabei kann Gerechtigkeit allerdings nicht als konsentierter Begriff verstanden werden, sondern vielmehr ist davon auszugehen, dass in den unterschiedlichen Bereichen und von den unterschiedlichen Akteuren des Gesundheitssystems sehr verschiedene Gerechtigkeitsvorstellungen eingebracht werden (mit Blick auf Beitragsgerechtigkeit, Verteilungs- und Zugangsgerechtigkeit, Finanzierungsgerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit etc.). Um empirische Befunde (z.B. zu sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit, aber auch zu präventiven und anderen Interventionen) einordnen zu können und entsprechende Maßstäbe zu entwickeln, bedarf es einer theoretischen Annäherung an Fragen der Gerechtigkeit im Kontext von Gesundheit.

Ein wesentlicher Schwerpunkt der Forschungsarbeiten im WSP ist die Untersuchung von Ursachen für Gesundheit und Krankheit als wesentlichem Baustein für wissensbasierte Public Health. In den epidemiologischen Forschungsprojekten im WSP werden sowohl Risikofaktoren als auch salutogene Faktoren als Einflussfaktoren für chronische Erkrankungen wie Krebs, Herzkreislauferkrankungen und Diabetes, für psychische und für umweltbezogene Gesundheit analysiert. Eine besondere Herausforderung hierbei ist die Aufklärung des komplexen Zusammenhangs zwischen einer Vielzahl an Einflussfaktoren auf der individuellen Ebene und auf der kontextuellen Ebene, um Ansatzpunkte für Gesundheitsförderung und Prävention zu identifizieren.

Die Forschung zu Gesundheitsförderung und Prävention setzt an einem breiten Gesundheitsverständnis an, das körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden gleichermaßen umfasst. Entsprechende Maßnahmen und Aktivitäten zielen auf die Stärkung von Gesundheitsressourcen und -potenzialen und nehmen neben dem Verhalten der Einzelnen insbesondere auch strukturelle gesellschaftliche Bedingungen in den Blick. Die Mitglieder des WSP setzen ihre Expertise zu den verschiedenen Aspekten der Gesundheitsförderung und Prävention sowie ausgewiesene Evaluationsexpertise u.a. in großen Forschungsnetzwerken um.

Versorgungs- und Pflegeforschung beschäftigt sich mit der Qualität, den Ressourcen sowie den Ergebnissen von und dem Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und Pflege. Ziel der Mitglieder des WSP ist es, interdisziplinär zu Verbesserung von Versorgung beizutragen. Mitglieder von IPP, BIPS, SOCIUM und Fraunhofer MEVIS forschen zu Evidenzbasierung, der Versorgung und Pflege unter Alltagsbedingungen, der Aus- und Weiterbildung, sowie der Beschreibung und Erklärung der Versorgung im Quer- und Längsschnitt. Im Rahmen (international vergleichender) Gesundheitssystemforschung wird am SOCIUM die institutionelle Ausgestaltung des Gesundheits- und Pflegesystems unter gesundheitsökonomischer und –politischer Perspektive betrachtet.

Relevante Felder

Soziale Gerechtigkeit

Gesundheitschancen sind ungleich verteilt, in der Regel zu Ungunsten ärmerer und strukturell benachteiligter Personengruppen und Individuen. Forschungsarbeiten des Wissenschaftsschwerpunktes beschäftigen sich mit gesundheitlicher Ungleichheit, etwa in Bezug auf Migration und Gender. Wir analysieren, inwieweit Ungleichheiten unfair und damit ungerecht sind und untersuchen, welche Folgen Public Health Maßnahmen hinsichtlich der Verteilung von Gesundheitschancen haben. Dabei geht es auch um Fragen des Bedarfs, der Partizipation und des Zugangs zu gesundheitsbezogenen Angeboten.

Zugangsgerechtigkeit

Der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen ist eine zentrale Voraussetzung dafür, die eigene Gesundheit aufrechterhalten und verbessern oder Verschlechterungen rechtzeitig vermeiden zu können. Zugangsmöglichkeiten sind aber sehr ungleich verteilt, sowohl auf der Ebene der konkreten Interaktion als auch auf institutioneller Ebene lassen sich Bedingungen der Ungleichbehandlung feststellen. Mitglieder des WSP erforschen Praktiken der Ungleichbehandlung sowie institutionelle Ausschlussmechanismen. Des Weiteren entwickeln und evaluieren sie Konzepte, um die Zugangsgerechtigkeit für unterschiedliche Zielgruppen zu erhöhen.

Umweltgerechtigkeit

Im Mittelpunkt dieses Forschungs- und Handlungsfeldes stehen Fragen (1) einer sozial unterschiedlichen Verteilung von Umweltbelastungen und -ressourcen (Verteilungsgerechtigkeit), (2) einer sozial unterschiedlichen Vulnerabilität hinsichtlich schädlicher Gesundheitswirkungen von Umweltexpositionen und (3) unterschiedlicher Teilhabe- und Verwirklichungschancen (Verfahrensgerechtigkeit). Wir untersuchen zum Beispiel, welche Bevölkerungsgruppen oder Regionen unfair bzw. unverhältnismäßig Belastungen wie Luftschadstoffen oder Folgen des Klimawandels ausgesetzt sind und welche sozialen Ungleichheiten in der Teilhabe an umweltpolitisch relevanten, gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen wie zum Beispiel der Lärmaktionsplanung bestehen.

Geschlechtergerechtigkeit

Das Konzept Geschlechtergerechtigkeit basiert auf der Annahme, dass aus der Verteilung von Chancen, Ressourcen und Verantwortlichkeiten zwischen Frauen und Männern bzw. Geschlechtergruppen für keine der Gruppen ein Nachteil resultieren sollte. In unserer Forschung untersuchen wir, welche Bedeutung Geschlechterstereotype, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, unterschiedliche Machtverhältnisse sowie unterschiedliche Bedürfnisse der Geschlechter für gesundheitliche Ungleichheiten haben. Aus einer Intersektionalitätsperspektive analysieren wir das Zusammenwirken von Geschlecht mit weiteren Positionen sozialer Ungleichheit hinsichtlich der Konstituierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse und gesundheitlicher Chancengleichheit.

Finanzierungsgerechtigkeit

Die Finanzierungsgerechtigkeit im deutschen Gesundheitssystem kann anhand der Zugänglichkeit von Leistungen und der Finanzierung bewertet werden. Zwei Hauptmodelle stehen dabei im Fokus: die Bürgerversicherung, die eine einkommensabhängige Beitragszahlung vorsieht, und Kopfprämienmodelle mit festen Beiträgen unabhängig vom Einkommen. Der Kakwani-Index misst die Progressivität der Finanzierung, um die Gerechtigkeit der Systeme einzuordnen. Ein höherer Wert deutet dabei auf eine gerechtere Belastung höherer Einkommen hin. Die Debatte konzentriert sich darauf, welches System gerechter ist und wie eine zugängliche und bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle sichergestellt werden kann.

Generationengerechtigkeit

Generationengerechtigkeit kann entsprechend der Definition der Brundlandt-Kommission so verstanden werden, dass die Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse so gestaltet sein soll, dass es zukünftigen Generationen ebenso möglich ist, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. „Generationengerechtigkeit" ist allerdings ein schillernder Begriff, der unterschiedliche Verwendungen findet, von denen einige mindestens kritisch gesehen werden müssen. So etwa, wenn unter dem Stichwort Generationengerechtigkeit für private Sicherungssysteme argumentiert und die Sozialversicherung diskreditiert wird.